Der dritte Mann

-Über die Präsenz einer dämonischen Filmszene-

Kennen Sie den Filmklassiker „Der dritte Mann“ nach dem gleichnamigen Roman von Graham Greene? Die Handlung spielt in Wien kurz nach dem 2. Weltkrieg. Der Amerikaner Holly Martins wird von seinem in dieser Stadt lebenden Freund Harry Lime eingeladen. Gerade in Wien angekommen, erfährt Holly, dass Harry bei einem Verkehrsunfall umgekommen sein soll.

Martins bekommt mit, dass es Ungereimtheiten rund um das Unfallgeschehen gibt. Er bleibt  daher in der Stadt und erhält die Information, dass Lime in Geschäfte mit gestohlenem Penicillin verwickelt war. Und dieses wird zur weiteren Gewinnmaximierung gestreckt. Die behandelten Patienten sterben oder erleiden dauerhafte gesundheitliche Schäden.

Schließlich verdichten sich die Hinweise, dass der Freund doch noch am Leben ist. Es kommt zur Begegnung von Harry und Rollo im Wiener Prater. Sie steigen in eine Gondel des dortigen Riesenrads. Während des Gesprächs bei der Fahrt nach oben fragt Holly: „Hast Du jemals das Kinderspital besucht? Hast Du je eines deiner Opfer gesehen?“ Harry rechtfertigt seine Geschäfte mit dem Penicillin: „Opfer? Sei nicht so theatralisch, Rollo. Schau da hinunter!“ Er deutet auf die Menschen am Fuß des Riesenrads. „Würdest du es dir wirklich zu Herzen nehmen, wenn einer dieser Punkte aufhört, sich zu bewegen – für immer? Wenn ich dir sagte, alter Freund, du könntest zwanzigtausend Pfund verdienen für jeden Punkt dort unten, der krepiert, würdest du mir allen Ernstes und ohne ein Zögern antworten, ich soll mein Geld behalten? Oder würdest du dir ausrechnen, auf wie viele Punkte. (…) Einen fähigen Mann kann man nicht unterkriegen. (…) Das Lächeln von Lime, im Film gespielt von Orson Welles, wirkt dämonisch.

Diese Szene kam mir vor kurzem in den Sinn. Anlass war eine Zeitungsüberschrift, die wie das Ergebnis eines Fußballspiels verkündet wurde: „Allein 120.000 tote Russen. Die Zahl der Verluste im Ukraine-Krieg nähert sich einer halben Million“

Diejenigen, die auf allen Ebenen für Kriege verantwortlich sind und auch an ihnen verdienen, werden wie ihre Kinder nicht an der jeweiligen Kriegsfront kämpfen. Hochrangige Politiker reichen sich lächelnd vor Journalisten die Hände und geben weitere Lieferungen von Waffen bzw. deren dankbare Entgegennahme bekannt. Der grinsende Harry Lime, dem die aus der Gondel des Riesenrads nur als Punkte erkennbaren Menschenleben egal sind, erscheint mir präsenter denn je.

Thomas Willi Völzke

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